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MAGDA KRAWCEWICZ – UNDER THE SKIN THE MOON IS ALIVE*

God has given you one face, and you make yourself another. William Shakespeare, Hamlet

„Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht euch ein anderes“, wirft Hamlet seiner großen Liebe Ophelia in Shakespeares Tragödie vor. 

Dieses Ringen um die eigene Identität  findet in den Arbeiten der Künstlerin Magda Krawcewicz auf lyrische Weise Ausdruck.

Ein zart glänzender Schimmer in der Farbe eines blassen Mondes versteckt sich hinter den vielen Gesichtern der Ophelia. Mit geschlossenen Augen scheint sie immer wieder in anderer Gestalt nach innen zu blicken – wer die Maske wendet, sieht sich rückseitig der ganzen Komplexität der Figur gegenüber, ihrer schillernden Vielgestaltigkeit.

Im Großen wie im Kleinen besteht das Sein aus Dualitäten, die durch fein tarierte Gleichgewichte im Lot gehalten werden. Licht und Dunkelheit, Gut und Böse bilden je zwei Hälften eines Ganzen, das sich im Menschen in der Frage nach der eigenen Identität bündelt. Die pudrig weißen Gesichter der Ophelia verbergen rückseitig die Tiefen des Bewusstseins.

Federn oder die schuppige Haut einer Schlange sind zartgliedrig in das  filigrane Porzellan eingearbeitet und erwachen durch die Glasur zu irisierendem Leben. Auch sie sind Sinnbilder der Veränderungen, die sich bereits im Titel der Ausstellung ankündigen – denn der Mond ist hier nicht nur lebendig, sondern durchläuft in seinen Zyklen ebenfalls einen permanenten Wandel, bleibt nie stehen, ändert sich so stetig, wie die Schlange ihre Haut abstreift. Identität wird hier auf sinnlich-poetische Weise zu einem Prozess, der in den Porzellanskulpturen auf nachdenkliche und im selben Augenblick ästhetische Weise eine Gestalt erhält. Wer bin ich, und wer will ich sein? Die zerbrechliche Schönheit des Materials im Kontrast zu bewusst stehen gelassenen Rissen und Brüchen pointiert den Facettenreichtum des Ringens um Antworten.

Auf tragische Weise ist auch Medusa der Frage nach der eigenen Identität unterworfen. Einst verführerisch schön, wird sie in eine Schreckgestalt mit Schlangenhaaren verwandelt. Und ist Namenspatin der Qualle, die ebenfalls der Transformation unterworfen ist und hier als leuchtendes Wesen in einer tintenblauen Malerei auftaucht. In einem Ozean, der so tief ist wie die menschliche Psyche, stellt sie eine Entwicklungsstufe dar: Einstmals war die Medusa ein auf einem Stein verwurzelter Polyp, von welchem sie sich abgespalten hat und fortan im Ozean schwimmt, wo sie sich so frei bewegt wie die Korallenabdrücke aus Porzellan, die die Künstlerin sich ungehindert über die Wand ausbreiten lässt. Als wären sie lebendig, wachsen sie in die Höhe und lassen sich ebenfalls als Sinnbilder der Tiefen des Bewusstseins verstehen. Dass die Koralle in der Ikonographie ein Attribut der Kindheit ist, verweist ein weiteres Mal auf den endlosen Wandel und den Zyklus des Kindseins, des Abnabelns und Sich-Freischwimmens und der Suche des erwachsen werdenden Menschen nach sich selbst.

Als sensible Beobachterin einer Zeit, in welcher gerade die neuen Technologien in Form sozialer Netzwerke gänzlich neue Anforderungen an den Kampf um die eigene Identität stellen,  findet Magda Krawcewicz in den Malereien in Tusche und Gouache und ihren Skulpturen einen faszinierenden bildlichen Ausdruck für einen hoch theoretischen Gedankenkomplex. Sämtliche Zweifel und Möglichkeiten fängt sie in ihrer zarten Formensprache ein. Feinsinnig verwebt sie die Themen Identität und Selbstsuche zu einem Netz, dessen Struktur so durchscheinend ist wie die Medusen selbst und das nur sehen wird, wer sich Zeit nimmt und sich darauf einlässt.

Anne Simone Krüger, Kunsthistorikerin

 * Der Titel entstammt dem Gedicht Ode to a Naked Beauty von Pablo Neruda.

 

Magda Krawcewicz – „I draw a line to your heart today...“

Der Ausstellungstitel ist eine Liedzeile der britischen Songwriterin PJ Harvey. Rebellische Punkrhythmen und lyrischer Text scheinen für sie kein Widerspruch zu sein. Ihre künstlerische Metapher formuliert die romantische Sehnsucht, einen anderen Menschen in seinem Innersten zu berühren. Damit ist auch Wesentliches zu Magda Krawcewicz gesagt, die mit ihrer Kunst versucht, „innere“ Beziehungen herzustellen und scheinbar Divergierendes zusammenzuführen. In Malerei, Aquarell und Porzellanarbeiten webt sie ein ebenso feinsinniges wie weitreichendes Geflecht, das die tiefe Verbundenheit aller Dinge ahnen lässt.

Die Linie erweist sich hierbei als ein wichtiges Medium der Künstlerin. In ihrer Gestaltung ist sie das primum movens: Ohne vorausgehende Kompositionsskizze führt die frei gesetzte Linie zu etwas ursprünglich nicht Gesuchtem. „Serendipity“, so ein früher Bildtitel, beschreibt das Prinzip einer zufälligen Beobachtung, betont aber zugleich eine darüberhinausgehende Untersuchungstätigkeit, in die emotionale, imaginative und kognitive Fähigkeiten gleichermaßen einfließen. Sensorisch folgt die Linie dem Spürsinn der Künstlerin. Im schöpferischen Zusammenspiel von Zufall und Ausdeutung werden Farbereignisse und Bildgegenstand eins. Bewusst belässt Magda Krawcewicz ihre Darstellungen im Zuständlichen zwischen Abstraktion und Figuration, lotet behutsam die Dimensionen menschlich-leiblicher Existenz aus. Die Offenheit der Gestaltung steigert die Assoziationsfülle und Imaginationskraft des Betrachters. Der geheimnisvolle Weg der Erkenntnis aber führt nach Innen. Transluzente Farbschichten zeigen die Haut des menschlichen Körpers als eine durchlässige Membran. Inneres und Äußeres, Leibliches und Seelisches überlagern sich auf der Ebene des Malgrundes. Eine Offenlegung des Inneren und eine Verschmelzung mit dem Anderen erscheint möglich, doch die Entgrenzung und der Verlust der schützenden Hülle führt auch zu Verletzbarkeit. Durch malerische Erosionsereignisse wird die fluide Qualität des Lebens spürbar. Überall lauert die Gefahr eines Umschlagens des utopischen Augenblicks in Dystopie.

Die Linien auf der Leinwand finden eine Entsprechung in den Porzellanarbeiten der Künstlerin: schlan- genartige Körper ruhen schwerelos auf dem Untergrund – verführerisch und bedrohlich zugleich. Die Textur der Oberfläche entsteht aus Abformungen gefundenen Materials, aber nicht von Schlangenhaut. So wird aus der Negativform ein plastisches Positiv und die wesensfremde Stofflichkeit verwandelt sich in et- was Neues. Die taktile Qualität der fragilen Objekte stimuliert den Tastsinn des Betrachters und steigert das Bedürfnis nach Berührung. Die geweckte Sehnsucht nach diesem sinnlichen Erlebnis aber führt zurück in die Bilder, in denen wir intensiv durchblutete Hände als Energiezentren sehen – bereit zur „Ein-Fühlung“.

In zarten Aquarellen verbindet sich die Linie neuerdings mit dem Symbol der Feder. Reagierend auf den leisesten Windhauch steht sie für die Fähigkeit, unsichtbare, kaum wahrnehmbare Strömungen aufzu- nehmen. Dem Element der Luft zugehörig verweist sie zudem auf den spirituellen Lebensbereich, mit welchem die Welt transzendiert werden kann. Forscher glauben, dass sich das Federkleid der Vögel aus den Schuppen urzeitlicher Reptilien gebildet habe. Tatsächlich vereinen mythische Wesen wie der gefiederte Schlangengott Quetzalcoatl der Maya die Sphären von Himmel und Erde. Schlangenartige Federn erscheinen in den aus Porzellan geformten Masken der Künstlerin. Wieder offenbart sich die Verbindung zum Mythologischen. So gab es in der griechischen Antike zwei Ur-Masken: Medusa und Dionysos. Während der Satyr den schöpferischen ungestalteten Kräften in der Natur ein Gesicht gab, verband man mit dem Schlangenhaupt der Gorgone das Magisch-Schöne und zugleich das Dämonisch-Zerstörerische. Auch in den Werken von Magda Krawcewicz sind Eros und Thanatos, Leben und Tod untrennbar verbunden.

Dagmar Lott-Reschke, Kunsthistorikerin

WIR SIND: ERINNERUNG

Engramme sind allgegenwärtig in unserem Leben. Ständig greifen wir auf sie zurück, ständig entstehen neue – ohne dass wir uns dessen so richtig bewusst sind. Doch alles, was wir tun und sehen, lesen und riechen, fühlen und schmecken: es hinterlässt ein Spur in unserem Gehirn. Eine Gedächtnisspur nannte der Biologe Richard Semon das. Die Gesamtheit all dieser Erlebniseindrücke – und es sind Milliarden! – formen am Ende unser Gedächtnis. Sie machen uns zu dem, was wir sind. Und zwar jeden Moment aufs Neue. In unserem Gehirn hinterlassen diese Reize eine charakteristische Spur. Eine, die sich von all unseren anderen Erfahrungen, den anderen Spuren in unserem Leben unterscheidet. So wie ein Siegelring, den man in feuchtes Wachs drückt; ein Bild, das sich schon bei Aristoteles findet.

Erfahrungen verändern uns, tief in unserem Inneren und bis in unsere Zellen hinein. Gleichzeitig knüpfen sie stets an Bekanntes an, so wie auch die Künstlerin Magda Krawcewicz in ihren Engrammen. Die geneigten Betrachter*innen ihrer Kunst finden hier sofort Elemente aus anderen Arbeiten wieder – Schlangen beispielsweise und Federn, also kulturübergreifend mythisch aufgeladene Fragmente und Symbole, die sich in unsere eigene Gedankenwelt einfügen und uns doch unseren Freiraum lassen, weil sie uns nicht beherrschen wollen: Diese Mythen sind Gedankenwelten, die wir selbst prägen können.

Engramme erklären, wie unser Gedächtnis funktioniert – ein bisschen wie ein Puzzle, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt, aus dem Muster der Nervenzellen, die Informationen codieren. Schwache Erregungen hinterlassen dabei scheinbar keine Effekte. Aber eben nur scheinbar: Je häufiger sie wiederkehren, desto mehr zeigt sich, dass der einzelne Reiz nicht wirkungslos geblieben ist. Und uns behutsam verändert. Am Ende fügen sich solche Muster zu dem Ganzen eines Gedächtnisses zusammen.

Bei Magda Krawcewicz bekommen Gedächtnisspuren nun immer wieder die Form einer Maske aus anthrazitfarbenem Ton. Die liegt auf ihrer konvexen Seite rau in der Hand und zeichnet sich durch metallischen Glanz im Inneren aus, dort, wo sie konkav ist. Die Masken reflektieren die Engramme eines Lebens, als Geschichtsfragmente, in die wir hineinspüren können. Sie nehmen unsere Gedanken auf, spiegeln unsere Erinnerung. Sie sind wie ein Gefäß, ein Speicher für alle unsere – auch künftige! – Erfahrungen. Aber zugleich auch die Momentaufnahme des Lebens, das einen formt und aus dem wir selbst etwas formen können.

Vielleicht bilden all diese Masken hier auch eine Familie, in der einen oder anderen Weise: Sie gehören zusammen, wir gehören zusammen, ohne dass damit schon etwas über die konkrete Verbindung gesagt ist. Und sie bilden eine Art kollektives Gedächtnis. Ein Archiv, das ein bisschen wie eine Wunderkammer funktioniert, die Geschichte, Weltanschauungen, Natur und Wissenschaft sammelt und versucht, daraus eine Einheit zu formen. Aus dieser Wunderkammer ist nun eine Ausstellung geworden: “In the minds eye”. Magda Krawcewicz ordnet dort ihre Engramme immer wieder in meist schwarz unterlegten Schaukästen. Das ist ja auf dem ersten Blick eher untypisch für ihre Arbeiten. Doch was zunächst noch ein in sich begrenztes, geschlossenes System ist, bleibt doch offen für neue Ordnungen. Hier werden Beziehungsgeflechte geschaffen, die im selben Augenblick auch Gedankenräume eröffnen.

Durch Engramme werden Gedächtnisspuren in unserem Bewusstsein verankert. Stets sind sie ein Spiegel unserer Vorstellungen, eine komplexe Information, die wir strukturiert festhalten, um sie späteren immer wieder abrufen zu können. Und wenn wir das nun nicht können, nicht mehr? Begegnen wir sofort ganz tiefen Ängsten in uns. Denn schlagartig wird uns die Fragilität unseres Daseins vor Augen geführt: Wir sind unsere Erinnerung.

Jan Zier, Journalist, Taz 

Alle Leiden um uns müssen auch wir leiden...

Alle Leiden um uns müssen auch wir leiden.

Wir alle haben nicht einen Leib, aber ein Wachstum,

und das führt uns durch alle Schmerzen, ob in dieser oder jener Form. 
Franz Kafka, Er

In den Arbeiten von Magda Krawcewicz werden zunehmend figurale Formen verwendet, jedoch nicht im Sinne eines neuen Naturalismus, sondern vielmehr als Bestandteil von Auflösung und Fragmentierung.

Sie lässt sich von dem Spannungsfeld zwischen „ganzen“ und „aufgelösten“ Körpern faszinieren und thematisiert dabei nicht zuletzt den, diese Körper umgebenden Raum.

Raum ist eine örtlich bestimmte Körperform, die Form abstrakter Körperlichkeit. Er scheint gegeben durch die Örtlichkeit, also durch Orte, in welche ich eintrete oder austrete und selbst Inhalt werde oder ihn durch mich entleere.

In dieser selbständigen Form sind das Orte, die ich wechseln kann – durch den Umstandmeiner Anwesenheit oder Abwesenheit.

Auch alle seelischen Beziehungen entwickeln sich nur im Verhältnis von Anwesenheit und Abwesenheit, durch die Brüche von räumlicher Trennung, von der Ausdehnung ihrer Ungewissheit. Die Gegenwärtigkeit im Getrennt sein  ist das Selbstgefühl, das die Ausdehnung der Ungewissheiten der Gefühle fort trägt und forttreibt. Es beweist sich so von selbst, dass der Raum die Substanz der abstrakt menschlichen Sinnlichkeit ist, also der Sinn, der keinen anderen Sinn hat, als eine bloße und völlig leere Gestalt: Raum.

Raum ist die Abstraktion von Körper oder Gestalt, von Form und Sinn in einem. Wenn wir von allem absehen, was eine Gestalt ausmacht, so ist sie bloße Figur im Raum. Dies macht die Wahrnehmung, die sich von ihren Empfindungen entfernt auch tatsächlich so. Je weiter entfernt die Empfindungen und ihre Gewissheiten sind und je mehr sich das Gefühl im Selbstgefühl der Seele verliert, desto mächtiger werden die Figurationen der Erinnerung, die räumlichen Abstraktionen des Gedächtnisses. Die Beseelung unserer Wahrnehmung wird dann umso mächtiger, je weniger Gewissheit ihr entgegensteht. Magda Krawcewicz gelingt es also, uns mit ihren Malereien und Skulpturen mehr als nur ein Bild zu liefern. Öffnen wir uns, so können wir ihre Arbeiten als Reflexion, als Spiegel unserer aller Seele/Verschiedenheit verstehen.

Rik Reinking (Sammler, Kurator, Gründer vom WAI – Woods Art Institute)

Intimate Miracles

Viele der Arbeiten von Magda Krawcewicz tragen poetische, rätselhafte Titel.

Während des Malprozesses beschäftigt sie sich mit Fragmenten aus Texten, die sie mit der Stimmung der Bilder zusammen bringen möchte. Texte als Inspiration. Als Verstärkung von Gefühlen und Gedanken. Es sind keine Sätze, keine Titel, die sofort einem Autor oder Schriftsteller zuzuordnen sind. Diese Sätze sollen so rätselhaft bleiben wie ihre Arbeiten. Arbeiten, die nicht alles erklären. Ihre Bilder verlieren dadurch niemals ihr Geheimnis, und sie verlieren dadurch auch nie das Drama, das dahinter steckt.

Der Titel dieser Ausstellung, Intimate Miracles, ist dafür ein gutes Beispiel. Der Titel spielt mit den ganz kleinen Momenten, die zwischen Menschen passieren, zwischen Paaren.

Man liebt ja zu viel oder nie genug. Liebe ist Versprechen und Verdammnis zugleich. Früher ging es darum, ob Gott existiert oder nicht. Heute fragt man sich: Gibt es die Liebe überhaupt? Und in welcher Form? Wie schwierig es zwischen Mann und Frau ist, seine Gefühle zu zeigen, davon handeln heute fast alle Beziehungen. Wie tausend Missverständnisse zerstören, worüber eigentlich Einverständnis besteht. Stolz, Feigheit, Eigensinn, Eifersucht, Angst, Schüchternheit und all die Dinge, die sich der Liebe in den Weg stellen. Jean Cocteau sagte mal: Es gibt keine Liebe, nur Beweise der Liebe.

Magda Krawcewicz ist eine zurückhaltende Person, fast schüchtern. Und doch gibt sie in ihren Arbeiten etwas von sich preis, eigentlich das Intimste, was ein Mensch hat: Gefühle, verletzte Gefühle. Das Leitmotiv für ihre Arbeiten hat sie gleich zu Beginn gefunden. Dieses Forschen nach ganz intensiven Gefühlen ist ein schmerzhafter Prozess, weil er einen dazu bringt, sich in unsere Seele vorzuwagen, in die Tiefen unserer Empfindungen, unserer Ängste und Hoffnungen, weil er bedeutet, Grenzen zu überschreiten und sich in die Gefahrenzone zu begeben. Also dorthin, wo man sich verletzbar macht. Magda Krawcewicz bietet in ihren Arbeiten eine Innenschau, eine Reise in die Vergangenheit, eine Entdeckung des Ich. Es gehört viel Mut dazu, und es ist ein Risiko, bei dem man nicht mal weiß, was am Ende die Belohnung, die Erkenntnis sein kann.

Gefühle über Körper zu transportieren, das ist ihre Ausdrucksform. „Gefühle passieren im Körper, sie sind miteinander verwoben. Gefühle erschüttern einen Körper. Lassen ihn zitten, verkrampfen. Der Körper dient als Stellvertreter für die Gefühle“, sagt Magda Krawcewicz.

Es sind Körper in universellen Räumen. Bloß angedeutet, verschwommen wie die Körper. Es sind Räume wie Theaterbühnen. Der Raum wird Magda Krawcewicz zum Zwangsbehältnis ihrer Sehnsüchte, Ängste, Erinnerungen und Konflikte.Die Räume und Gegenstände malt sie in ihren Bilder so entrückt, als blicke man durch ein umgekehrtes Fernrohr. Das, was zu entweichen droht, macht sie dadurch so gewaltig, dass es keiner übersehen kann: die Empfindungen der Körper.

Diese Körper in diesen Räumen fühlen sich selten wohl. Wie zum Beispiel bei dem Bild Black Ice. Eine Frau ist da zu sehen, die eine Schockstarre einimmt. Eine Frau, die noch über die verloren gegangene Beziehung trauert. Eine Frau, die nicht weiß, was der nächste Schritt sein soll. Soll sie sich wieder vorwagen? Wird sie wieder verletzt? Soll sie stehen bleiben? Es ist genau dieser Moment, den Magda Krawcewicz da festhält.

Derart unmittelbare, kraftvolle Bilder malt Magda Krawcewicz oft und hat damit ein visuelles Tagebuch geformt, das noch das Flüchtigste zu einem wesentlichen und eigenständigen Bestandteil ihres Werks macht.

Auf Black Ice ist wie auf vielen ihrer Bilder nur eine Frau zu sehen. Und doch ist Magdas Thema nicht nur die einzelne Person, sondern auch die Interaktion der Menschen. Ihre Bilder sind nicht nur Porträts von einer Person, es sind auch Porträts von Beziehungen.

Die gemarterte Seele webt den Stoff, aus dem ihre Arbeiten sind. Der Gefahr, diese inneren Dramen in grellen, ermüdenden Farben heraufzubeschwören, entgeht Magda Krawcewicz mit der beziehungsreichen Dichte ihrer Vision.

Bei ihren Arbeiten wissen wir nur, was sie uns wissen lässt, und je länger man ihre Bilder betrachtet, stellt man fest, dass meist mehrere Lesarten möglich sind.

Giuseppe di Grazia (stellv.Chefredakteur STERN)

Schlafende Medusa.

Magda Krawcewiczs vielgesichtige Archetypen zwischen den Zeiten, Bildern und Zuständen

 

Die Augen der Medusa lassen das Gegenüber zu Stein erstarren. Tödliche Schlangen winden sich um ihr monströses Antlitz, dessen große Schönheit verging, als Athenes Fluch Medusa traf und zur Bestie machte. In ihrer 2018 begonnenen Serie skulpturaler Portraits der Gorgone wendet Magda Krawcewicz die Ungeheuerlichkeit der mythischen Figur ins Fragile, Zarte, Verletzliche. Die aus zerbrechlichem Porzellan geformten, maskenhaften Medusen-Häupter der Künstlerin zeigen sich anfällig, mit Blessuren und Brüchen, Nahtstellen und Verwerfungen. Die verheerenden Augen sind geschlossen wie im Schlaf, nach innen gekehrt, traumverloren, entwaffnet. Krawcewiczs Medusen-Gestalten erzählen eine andere Geschichte: Die unkontrollierbaren Schlangenhaare sind gezähmt und umranken den Kopf wie einen Kranz. Sie haben sich in feingliedrige Federn und verzweigte Narben verwandelt. Die Gesichtszüge der Medusa sind verwischt wie soeben noch greifbare Nachbilder, visuelle Echos eines Wesens, dessen fatale Kräfte zur Ruhe gekommen sind und bis auf Weiteres schlummern. Doch ist die Gefahr vielleicht gar nicht gebannt, sondern wirkt untergründig weiter im Wechselspiel zwischen Macht und Ohnmacht, das der Medusen-Figur im klassischen Stoff bereits eingeschrieben ist. Krawcewiczs Formgebungen machen diese Ambivalenz sichtbar, indem sie dem festgeschriebenen Topos zuwiderlaufen und ihn ins Gegenteil verkehren. Die furiose Aggression, die in kunsthistorischen Repräsentationen der Medusa zum Ausdruck kommt, schlägt in den fazialen Gehäusen der Künstlerin, die auch an Totenmasken denken lassen, um in eine spannungsvolle Stille, in der Sanftheit und Passivität, Passion und Zerstörung ineinandergreifen.

In einer weiteren Skulpturengruppe, die zeitgleich ihren Anfang nahm, widmet sich die Künstlerin der tragischen Heroine Ophelia, die in Shakespeares Drama Hamlet zwischen enttäuschter Liebe, gegen sie gerichtete Intrige und daraus resultierendem Wahnsinn zerrissen wird und zuletzt von einem Weidenbaum in einen Bach herabstürzt, wo sie gewollt oder ungewollt ertrinkt. In der viktorianischen Literatur und Malerei des 19. Jahrhunderts, zu deren Hauptmotiven die verführte Unschuld oder „gefallene Frau“, der Liebestod und die Eros-Thanatos-Dualität gehören, manifestierte sich der Ophelia-Mythos mit Bildern einer von Blüten umgebenen, im Wasser treibenden Ophelia, wie sie in John Everett Millais‘ gleichnamigem Gemälde (1851–1852, Tate Gallery, London) paradigmatisch dargestellt ist. Erneut wählt Krawcewicz als gestalterisches Medium Porzellan, teils in Kombination mit Ton, und verarbeitet es in ihrer Ophelia-Werkgruppe ebenfalls zu maskengleichen weiblichen Gesichtsreliefs mit geschlossenen Augen, die hier nun zwischen nach außen und nach innen gewölbten Ansichten oszillieren. In dieser Dualität offenbart sich der Blick der Künstlerin in die verborgenen, schwer fassbaren Regionen der Emotionen, denen sie subtile materielle Gestalt gibt. Auf der konkaven, glasierten Kehrseite der konvexen Antlitze, die auf unterschiedliche Weise bearbeitet, bemalt und geformt sind, treten zarte blüten- oder seeanemonenartige Konglomerate sowie Federn einzeln oder gebündelt in Erscheinung. Jene fragilen Federn gehören zum Grundvokabular der Künstlerin und sind auch als eigenständige Skulpturen realisiert.

Weitere wiederkehrende archetypische Motive ihres Werks sind neben den organischen Federn, die auch an menschliche Zungen oder Fischschwärme erinnern, Schlangen, Blüten-, Schädel- und Muschelformen. Krawcewicz schöpft damit aus einem persönlichen Figuren-Repertoire, das mit ureigener Bedeutung aufgeladen ist und symbolhaft von den (Un-)Tiefen der Empfindungen, von Glück und Schmerz, Freiheit und Begrenzung, Rückzug und Stärke erzählt. Dabei knüpft sie simultan an kollektive „mythische Vorstellungen“(1) an, die C. G. Jung als intertemporal und überterritorial bezeichnet hat: „Wir können sie keiner spezifischen Zeit oder Weltgegend […] zuordnen. Sie sind allgegenwärtig in Raum und Zeit, unbekannten Ursprungs, und können sich selbst da repräsentieren, wo Überlieferung durch Völkerwanderung ausgeschlossen ist.“(2)

Die Künstlerin inkorporiert in ihrem Werk jene welt- und zeitumspannende Mythen ebenso wie tradierte Motive aus der Kunst- und Kulturgeschichte, die sich immer schon ersterer bedient haben, in einer Verwebung der visuellen und haptischen Texturen und Referenzquellen. Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die Multikodierung von Krawcewiczs Arbeiten, die von der Malerei ausgehend Zeichnungen, Einzelobjekte und skulpturale Ensembles umfassen und bei aller medialen Vielfalt durch die physische und inhaltliche Thematisierung des Ephemeren, Leichten, Fließenden und dessen Interdependenz mit dem Dauerhaften, Verdichteten, Konstanten verbunden sind. Das Atelier der Künstlerin gleicht einer barocken Wunderkammer, in der Naturformen und „Artificialia“, also organische und vom Menschen kreierte Gebilde, als inspirative Ressourcen vereint sind, die sich entsprechend in ihrer Kunst wiederfinden. Ebenso wie die Wunderkammer des Barock als „Zeitraffer und Mikrokosmos zugleich“(3) fungierte, führt das Bezugssystem, das Krawcewicz ästhetisch zum Einsatz bringt, vom Detail zum großen Bild und wieder zurück. Es operiert grenzüberschreitend zwischen Innen- und Außenwirklichkeiten, den Sphären der introspektiven Seelenschau und der kollektiven Narrative, der alchemistischen Wandlungen und individuellen Metamorphosen, zwischen den elementaren Regionen des Wassers, der Luft, des Feuers und der Erde, des Lebens und des Todes, des Monströsen und der Schönheit.

Den auf Masken und Fetische, auf Phänomene der Natur ebenso wie auf Motive aus der Kunst- und Kulturgeschichte verweisenden Skulpturen der Künstlerin stehen in Auflösung befindliche Körper in zarten, gestischen Malereien und Zeichnungen gegenüber. Hier nun geht es um das subkutane Eintauchen in die tiefer liegenden Dimensionen hinter den Erscheinungen: um Sichtbarmachung der filigranen Struktur des Skeletts und der Blutbahnen, die den physischen Leib tragen und erhalten, aber auch um die feinstofflicheren Energien, die als emotionale Unterströmungen das menschliche Handeln durchwirken. Immer befinden sich im Werk der Künstlerin Balancen auf der Kippe, entpuppt sich das Stabile als brüchig, das Anmutige als potenziell gefährlich, das Unbelebte als inhärent animiert, das Anorganische als organisch, das scheinbar Ornamentale als unheimlich und die harmonische Form als unberechenbares Vehikel, das über mäandernde Wege in Abgründe hineinführt. Magda Krawcewiczs post-surreale Traumlogik, die an die Nachtseite der Dinge rührt, eröffnet Perspektiven auf die essenzielle Dialektik, aus der heraus unser Leben im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen überhaupt erst Gestalt annimmt. Es gibt kein Licht ohne Schatten, keine Progression ohne Stillstand, keine Verdichtung ohne Verflüchtigung. Medusa schläft, doch träumt sie davon, mit ihrem Blick die Starre der Versteinerung zu durchbrechen und die Geschichten in Bewegung zu versetzen, die sich zwischen den Zeiten und Zuständen, den Bildern, Gestalten und Gefühlen mit unberechenbarer Vitalität entfalten.

Dr. Belinda Grace Gardner, Autorin, Kunsthistorikerin

Anmerkungen:

(1)C. G. Jung: Traum und Traumdeutung, hrsg. v. Lorenz Jung auf Grundlage der Ausg.: Gesammelte Werke, München 2010 [2001], S. 55.

(2)Ebd.

(3)Horst Bredekamp: Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993, S. 39.

 

I Crossed Oceans of tIme to finD you

 

Auf den ersten Blick wirken sie schon leicht morbide, diese Idole. Aber dieser Eindruck verflüchtigt sich bald. Denn diese Totenköpfe – und darauf kommt es hier an – sind viel kleiner als echte. Und sie strahlen Dich in einem stillen, klaren, einem sehr lebendigen Weiß an. Welche Lebendigkeit in ihnen steckt, das spürst Du spätestens, wenn Du ins Innere einer dieser Arbeiten von Magda Krawcewicz blickst, greifst. Hinter der Oberfläche, dem Schädel und seinen Knochen erscheint das Wesentliche – dort offenbaren sich alle Brüche des zarten Materials, die Fingerabdrücke der Künstlerin, ihre Energie, etwas Unperfektes. Gerade in diesem nur scheinbaren Gegensatz entfaltet sich das Sinnliche, ja: die poetische Kraft dieser Werke. Dabei kann jedes Einzelne von ihnen auch ganz unabhängig von jeder Botschaft bestehen, die man in ihnen sieht.

„I crossed oceans of time to find you“ ist der gemeinsame Titel all dieser Skulpturen, von denen Magda Krawcewicz seit Beginn des Jahres 2017 mittlerweile zwei Serien geschaffen hat: Die erste heißt „Blue“, die zweite „Melancholia“, weil sie unterschiedliche Kristallglasuren haben; „Small Idols“ wird die dritte heißen. Der Titel ist ein Zitat aus Bram Stokers „Dracula“, in dem es ja nicht nur um den Tod, sondern auch um die Liebe geht – er verbindet damit einmal mehr Eros und Thanatos, also ein immer wieder kehrendes Motiv in Krawcewicz Arbeiten. Dass der Roman vor allem von Vampiren handelt, ist an dieser Stelle egal: „I crossed oceans of time to find you“ spiegelt vor allem die Suche nach jemand – oder etwas? – Geliebtem, Verehrtem, Kostbarem, ja: vielleicht auch Idealisiertem. Es ist eine Suche, für die es so gar nicht auf Äußerliches, auf Zeit und Ökonomie ankommt, sondern allein auf das Innere, auf die Geduld und die Bestimmtheit, mit der dieses Ziel verfolgt wird. Und so gibt der Titel diesen Skulpturen etwas sehr poetisches und vereint zugleich, was uns zunächst unvereinbar erscheint.

Obwohl sie Idole sind, haftet diesen Werken so gar nichts religiöses an. Wohl aber etwas sehr mystisches, und natürlich spielen sie mit der ganzen Kraft des Mythologischen. Idole sind sie indes weniger im Sinne des lateinischen idolum – das für „Abgott“ steht – sondern im Sinne des griechischen eídolon‚ in dem sich das Wesen als solches zu erkennen gibt. Sie sind geschmückt mit Federn und Muscheln, Pocken und Schlangenhäuten, Objekten also, denen allen schon für sich allein genommen eine vielschichtige Bedeutung innewohnt. Damit erinnern diese Porzellanarbeiten zwar an Fetischobjekte. Doch sie behalten ihre spielerische Leichtigkeit, weil sie keiner spezifischen Zeit oder Kultur zuzuordnen sind und auch keine ganz eigenen erschaffen wollen. Die kleinen kultische Werke sind mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile und im besten Sinne universell, allumfassend. Wenn hier gelegentlich die gefiederte Schlange Quetzalcoatl wieder auftaucht, die schon anderswo in Krawcewicz‘ Arbeiten zu sehen ist, dann verweist sie weniger auf die Maya-Kultur, der sie entstammt, und schon gar nicht auf das uns vertraute biblische Bild der Schlange. Sondern auf die Wiedergeburt, die Erneuerung und Fruchtbarkeit, die Wachsamkeit und die Kraft des Instinktiven.

Die Werke haben, für die Künstlerin eher untypisch, keine Einzeltitel. Sie sind aber unverkennbar eigenständige Werke, von denen jedes seinen eigenen Charakter bekommen hat. Sie harmonieren als Serie, die sich organisch entwickelt, und können doch allesamt auch für sich alleine stehen. Mit ihnen schreibt die Künstlerin alte Mythen fort – fast nimmt die Kunst hier nun die Stelle eines heiligen Objekts ein; manch einer mag das ketzerisch finden, auch wenn es nicht so gemeint ist. Dabei reflektiert die Kunst hier doch auch ihre eigene Rolle: In der Öffentlichkeit wird sie heutzutage ehrfüchtig bestaunt, vielleicht sogar bewundert wie einst metaphysisch entrückte Figuren. Magda Krawcewicz holt sie von diesem Sockel der Verheißung, ohne sie deswegen zu entzaubern – ganz im Gegenteil. Sie schafft Raum für eine neue Wahrnehmung.

Zugleich zeigt sich, wie sehr alle diese Idole doch eine natürliche Weiterentwicklung jener Skulpturen sind, an denen die Künstlerin in den letzten Jahren gearbeitet hat. Ihre Porzellanarbeiten gewinnen hier eine ganz neue Substanz und Tiefe, ja: sie eröffnen eine neue Dimension von Krawcewicz‘ Bildhauerei. 

Jan Zier, Journalist, Taz